Centrum iudaicum Hamburg


Sakralräume übten auf mich immer schon eine große Faszination aus. Der Anteil von Kirchen an meinen bisherigen Entwürfen dürfte hier eine beredte Sprache sprechen. Und doch: es waren bisher nur christliche Kirchen, sicherlich nicht zuletzt des-halb, weil ich selbst praktizierender Christ bin, und schon immer eine Faszination für das Transzendende, bisweilen auch das Mystische empfunden habe.

Nun aber, da es galt, ein Thema für meine Diplomarbeit zu finden, wollte ich die bisweilen schon etwas ausgetretenen Pfade ein wenig verlassen und in gewisser Weise Neuland betreten.
Zwar in Form der Planung eines Sakralraumes, nicht aber eines christlichen.

Und an dieser Stelle betritt ein weiterer wichtiger Protagonist meiner Interessenwelt die Bühne: Der jüdische Glaube samt seiner Religionsgeschichte. Dieses hier gänzlich auszuführen, würde den Rahmen dieser Darstellung ohne Frage sprengen. Nur soviel: Judaica nehmen in meiner heimischen Bibliothek einen wesentlichen Platz ein, der nur wenig dem nachsteht, den Literatur über Architektur, Kunst, und Geschichte einnehmen. Beides führte ich zusammen, indem ich mich dazu entschloss, ein jüdisches Gemeindezentrum samt Synagoge für die jüdische Gemeinde Hamburgs zu planen. Es war dies in besonderer Weise eine Herausforderung, da die Regeln für den Bau einer Synagoge gänzlich anders geartet sind, als die für eine Kirche. Hinzu kommt, daß die Regeln der Halacha, dem jüdischen Gesetzeskanon, ungleich strenger sind als etwa jene des katholischen Christentums. Es galt also, vor Beginn der Entwurfskonzeption eine möglichst tiefgehende Befassung mit diesen Regeln vorzunehmen, bevor der erste Federstrich getan werden konnte.

Um ein Beispiel herauszugreifen: der Talmud verbietet, daß sich der Betende während des Gebetes erhöht. In praktischer Umsetzung bedeutet dies, daß die Bima, der Ort der Verkündigung, nicht wesentlich über dem Niveau des umgebenden Bodens liegen darf. Gleichzeitig soll die Bima aber für jeden Gottesdienstteilnehmer gut sichtbar sein. Es galt also, einen Kompromiß zu finden, der beiden Anforderungen gerecht wird. Durch die Erhöhung des Bodenniveaus im Erdgeschoß bei gleichzeitiger, amphietheaterähnlicher Absenkung der Sitzreihen, war es hier möglich, den Ort der Verkündigung in etwa auf das Niveau der Straße zu senken.
Und es war dies nur eine Vorgabe unter vielen.

Nicht allein die Erfüllung der halachischen Vorschriften prägte den Entwurfsprozeß – starken Einfluß hatte auch der Gedanke, ein Bauwerk zu planen, das seinen Zweck nach innen und außen hin zeigte und einer symbolhaften Architektursprache folgte. So entstand als eigentlicher Sakralraum ein von zwölf Pfeilern umstandener, überkuppelter Ovalraum. Die zwölf Pfeiler symbolisieren dabei die zwölf Stämme Israels, die das Himmelsgewölbe schultern. Ganz traditionell sind die Sitze der Frauen von denen der Männer separiert, sie befinden sich auf einer hufeisenförmigen Empore auf Höhe des ersten Stockwerkes. Konservativer Auslegung des Talmud folgend, ist auch die Positionierung der Bima inmitten des Raumes, während der Thoraschrein am östlichen Ende des Raumes, erreichbar über zwei Treppen und eine Estrade, platziert ist.

Stilistisch lehnt sich das Bauwerk an die Reformarchitektur Hamburgs im frühen zwanzigsten Jahrhundert an, insbesondere der Name Raabe & Wöhlecke als prägendes Architektur- büro sei hier erwähnt.
Dabei verzichtet der Entwurf keineswegs auf reiches Ornament, doch konzentriert sich dieses schwerpunktmäßig im Innenraum. Der Außenbe- reich zeichnet sich durch eine wuchtige, schlichte Architektursprache aus, die lediglich im Bereich des Hauptein- ganges zum Sakralraum, einigen Risaliten und dem Eingang zum Gemeindesaal einer gewissen Üppigkeit weicht. Insbesondere der Haupteingang mit der darüberliegenden Wochentagssynagoge drücken aus, daß hier der Zugang zum wichtigsten Teil des Komplexes zu finden ist. Und auch dessen Funktion wird durch das Okulus mit seinem Davidstern und dem darunterliegenden Lanzettfenster, das eine sublime Anspielung auf einen Chanukkaleuchter darstellt, deutlich gemacht.

Insgesamt ist das Bauwerk als ein neuer Mittelpunkt des Hamburger Grindelviertels gedacht, der die einst an dieser Stelle stehende Bornplatzsynagoge in ihrer Zentrumsfunktion für den Glauben aber auch ihrer gesellschaftlichen Funktion als Treff- und Gesprächsort ersetzen soll.
Als weiterer Faktor kommt für den Bau der Gegenwart und Zukunft hinzu, daß ein Ort der Kommunikation mit Nichtjuden entstehen soll, der das religiöse und kulturelle Verständnis füreinander fördern soll. Daher sind für das Erdgeschoß Buchgeschäfte, ein Restaurant und ein Einzelhandels- geschäft geplant.

Wenn dieses Gebäude auch aller Wahrscheinlichkeit nach niemals errichtet werden wird, so soll es doch Anstoß zum Nachdenken über ein neues Zentrum jüdischen Lebens an seinem angestammten Platz geben. Dieses gehört nicht in die Peripherie der Stadt, sondern in ihre Mitte.