Virtuelle Rekonstruktion des Hamburger Stadttheaters


Selbst der Mehrzahl überzeugter Hamburger Lokalpatrioten ist nicht bekannt, daß Hamburg das älteste Opernhaus des deutssprachigen Raumes besitzt. Bereits 1677 fand sich eine Anzahl Hamburger Honoratioren zusammen, deren Engagement es zu verdanken war, daß bereits im selben Jahr ein erstes, wenn auch äußerst behelfsmäßiges Opernhaus auf einer Freifläche nahe dem heutigen Gänsemarkt errichtet werden konnte. Dieser Fachwerkbau verschwand bereits in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts und machte einem deutlich größeren, wenn auch nach wie vor hölzernen Opernhaus Platz, das eine wahrhaft glänzende Karriere Hamburgs als Ort der Oper und des Schauspiels begründete. Namen wie Theile, Mattheson, Telemann und vor allem Händel sind mit diesem Bauwerk verbunden, das Hamburg weit über die Grenzen Norddeutschlands zu einem Anziehungspunkt des gebildeten, musikbegeisterten Publikums machen sollte. Dieser Ruf sollte auch die folgenden Jahrhunderte erhalten bleiben – das Gebäude hingegen wurde bald zu klein und überdies auch als zu wenig repräsentativ für eine der größten und reichsten Städte Deutschlands angesehen.
Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts beauftragte ein Bürgerkomitee den seinerzeit berühmtesten Architekten des deutschsprachigen Raums, Karl Friedrich Schinkel, mit der Erstellung einiger Pläne zu einem neuen Opernhaus für die Hansestadt. Schinkel entsprach diesem Ansinnen und übersandte bald darauf einige Pläne, die jedoch nur bedingt die Zustimmung der Kommission fanden. Allein die Grundrißdisposition sowie die Gestaltung des Zuschauerraumes wurden in die Tat umgesetzt – die Fassaden wurden vom Hamburger Ratsbaumeister Wimmel als schlichter, klassizistischer Putzbau neu entworfen.
Auch dieser entsprach im späten neunzehnten Jahrhundert nicht mehr den abermals gesteigerten Repräsentationsanforderungen des nunmehr als das Tor des Deutschen Reiches zu den Weltmeeren fungierenden Hamburgs. Martin Haller, seinerzeit der wohl erfolgreichste und prominenteste Architekt Hamburgs – später immerhin der federführende Architekt beim Bau des Rathauses – wurde beauftragt, sowohl eine neue Fassadengestaltung der Eingangsseite, sowie eine Neugestaltung der Foyers und Garderobenräume zu entwerfen. Er entsprach dieser Bitte dergestalt, daß er dem bislang weitegehend ungegliederten Gebäude einen wuchtigen Eingangsportikus voranstellte, der das Bauwerk weit aus seiner bislang bescheidenen Erscheinung heraustreten ließ. Einzig der schon seinerzeit aufgrund seines Schöpfers Schinkel als architektonisches Juwel erarchteten Zuschauerraum blieb unverändert erhalten – der Rest des Bauwerkes gewann ein Äußeres, das mit der Gestalt der führenden europäischen Opernhäuser problemlos mithalten konnte.
In den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts erhielt das Opernhaus – seinerzeit noch Stadttheater genannt – einen wuchtigen Bühnenturm, unter dem ein gänzlich neu errichteter Bühnenraum Platz fand, der durch einen eisernen Vorhang vom Zuschauerraum abtrennbar war.
Letzterem war es zu verdanken, daß zumindest der neu errichtete Bühnenraum dem Bombardement des zweiten Weltkrieges nicht zum Opfer fiel. Der berühmte Zuschauerraum Schinkels samt all seinen Vor- und Nebenräumen viel 1943 einem Brandbombenangriff zum Opfer. Die noch erhaltenen Fassaden wurden zu Beginn der fünfziger Jahre niedergelegt und an ihrer Stelle ein Glas- Stahl- Bau im Geiste der Zeit errichtet, der bis heute das Gesicht der Hamburger Staatsoper prägt.
Mein Anliegen war es nun, das Erscheinungsbild des Hamburger Stadttheaters um die Jahrhundertwende wiedererstehen zu lassen – der zweiten großen Periode des Hauses nach jener Händels und Telemanns. Granden der Oper, unter ihnen sogar ein Gustav Mahler, gaben dem Hause in jener Zeit einen Ruf, der bis auf die andere Seite der Nordsee, ja, auf die andere Seite des Atlantik hinüberscholl. Diese Periode, die Glanzzeit der Oper, sollte nun virtuell auferstehen. Das Hamburger Staatsarchiv stellte mir hierzu einige Bauaufnahmen, sowie die Originalzeichnungen aus der Hand Martin Hallers zur Verfügung, die ich dann, wie auf den nebenstehenden Bildern dargestellt, räumlich zueinander aufstellte, und dann mit dem langsam erstehenden Bauwerk ausfüllte. Nach einem etwa ein Semester währenden Bauprozeß stand das Bauwerk in seiner äußeren Gestalt , zumindest von seiner Westseite her, gänzlich neu. Die Seitenfassaden und vor allem die Rückseite harren nach wie vor einer Überarbeitung, eine solche ist jedoch aufgrund der mangelhaften Quellenlage bis zum Auffinden von Bild- oder Plandokumenten schwerlich in einer historisch korrekten Weise zu bewerkstelligen und muß daher vorläufig auf Eis gelegt werden.